Gleichberechtigung von Frauen in Slowenien ist hoch im EU-Vergleich

Ein Aufsatz von Dr. des Carmen Thamm, Universität Tübingen, zum WGT-Land Slowenien

In der Europäischen Union zählt Slowenien zur Gruppe der Länder, in denen die Gleichberechtigung der Frau am positivsten zu bewerten ist. Hier finden Sie einen Text, den Frau Dr. des Carmen Thamm, Institut für Politikwissenschaft, Universität Tübingen, für den Weltgebetstag vorbereitet hat. Sie hat die Entwicklung der Stellung der slowenischen Frauen in der Gesellschaft sehr gut herausgearbeitet. Frau Dr. des Thamm hat in Politologie über ein vergleichendes Thema zur Sozialgesetzgebung in Deutschland, Österreich und Slowenien an der Universität Tübingen promoviert. Der Titel ihrer Dissertation ist "Krisenpolitik der Gewerkschaften in Deutschland, Österreich und Slowenien".
In der Europäischen Union zählt Slowenien zur Gruppe der Länder, in denen die Gleichberechtigung der Frau, zumindest politökonomisch betrachtet, am positivsten zu bewerten ist. Die Ursachen für diese Situation sind insbesondere im sozialistischen Erbe des Landes zu suchen.
Bis zur Gründung der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ), in der das heutige Slowenien als Teilrepublik eingegliedert war, herrschte – erst unter der Obrigkeit der Habsburger Monarchie (ab Mitte des 13. Jahrhunderts bis 1918), dann im Rahmen des 1918 gegründeten „Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen“ – ein männlicher Chauvinismus vor, der den Frauen weder an der Politikgestaltung noch an den wirtschaftlichen Entscheidungen der Gesellschaft beteiligte. Gemäß der mehrheitlichen Zugehörigkeit der Slowen_innen zur katholischen Kirche lag der gesellschaftlich anerkannte Lebenszweck der Frau in der Erfüllung der ehelichen Pflichten, der Kindererziehung und der Beschickung des Haushaltes; sie war dem Mann sowohl innerhalb der Familie als auch der Gesellschaft klar untergeordnet (Patriarchalische Gesellschaft). So galten auch im Königreich Jugoslawien noch immer die serbischen Zivilgesetze von 1844, die Frauen u.a. das Recht auf persönlichen Besitz verwehrten, sobald sie in die Ehe eintraten.
Stjepan Radić (Kroatische Bauernpartei) im kroatischen Landtag 1914 zur Frauenfrage: „Die Frau ist dem Liberalen eine Dame, dem Klerikalen eine Dienerin: ‚mulier taceat in ecclesia‘. Und dem Agrarier eine Hausfrau, die die drei Ecken des Hauses trägt“

Unter den politischen Parteien setzten sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lediglich die marginalisierten Sozialdemokrat_innen und Kommunist_innen für die Gleichberechtigung der Frau ein. Obgleich sich bereits in der Zwischenkriegszeit erste Frauenverbände, darunter die Allianz der feministischen Gesellschaften im Königreich SHS (1923) und die Ženska stranka (dt. Frauenpartei; 1927), gründeten, um die „Frauenfrage“ im politischen Diskurs zu etablieren – u.a. auch durch die Gründung erster feministischer Zeitschriften wie der Ženski pokret (dt. Frauenbewegung) in Serbien im Jahr 1920, wurde die gesetzliche Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen erst nach dem Zweiten Weltkrieg und im Zuge des sozialistischen Systemwechsels 1945 umgesetzt.

In der Verfassung, Artikel 24, der SFRJ vom 31. Januar 1946 heißt es: „Die Frau ist auf allen Gebieten des staatlichen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Lebens dem Manne gleichgestellt.“
Zu einer der ersten Maßnahmen zählte die Einführung des Frauenwahlrechts 1945; erheblich später als im Großteil Europas (1906-1931). Nicht zuletzt hatten sich die Frauen die nun politisch realisierten Rechte durch ihre Leistungen als Partisaninnen bei der Befreiung Jugoslawiens von der nationalsozialistischen Okkupation hart erkämpft. So waren laut dem Lexikon des nationalen Befreiungskampfes circa zwei Millionen Frauen am Widerstand gegen das Nazi-Regime beteiligt; darunter waren etwa 100.000 aktive Kämpferinnen. 1942 kam es sogar zur Gründung einer eigenen Frauenorganisation innerhalb der Partisan_innenbewegung: die Antifaschistische Frauenfront (AFŽ).

Unter Josip Tito, als Minister- und Staatspräsident der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien, ereignete sich eine deutliche Aufwertung der Frauenrechte; insbesondere in Hinsicht auf die sozioökonomische Position der Frauen. Dadurch wurde den Frauen in Jugoslawien die wirtschaftliche Unabhängigkeit vom (Ehe-)Mann ermöglicht. Dies gelang vor allem vermittelt über die Alphabetisierung der Frauen und des deutlich verbesserten Zugangs zu höherer Bildung; dieser zeigt sich durch einen erheblichen Anstieg des Anteils weiblicher Studierender von über zehn Prozent innerhalb von elf Jahren.
Darüber hinaus wurde den Frauen das Recht auf gleiche Arbeit, gleichen Lohn und besonderen Schutz verfassungsrechtlich zugesichert (Artikel 24). Dennoch konnte dieses Ideal in der Realität nicht erschöpfend eingehalten werden, da Frauen häufiger als Männer in Branchen mit niedrigerem Lohnniveau arbeiteten (d.h. in der Textilindustrie und im Dienstleistungssektor) und seltener Führungspositionen übernahmen; jedoch deutlich öfter als in Westdeutschland und anderen nichtsozialistischen Staaten Europas.

Die heutige Situation der Frauen in Slowenien weist erst auf den zweiten Blick eine Fortschreibung der jugoslawischen Verhältnisse auf. So liegt die Frauenerwerbsquote in Slowenien insgesamt bei nur 62,6 Prozent und ist damit deutlich niedriger als diejenige in Deutschland mit 70,8 Prozent. Ein genauerer differenzierter Blick auf die Statistiken löst dadurch vermeintlich entstandene Zweifel auf. So ist auffällig, dass die Gruppe der Frauen ohne Kinder deutlich seltener erwerbstätig ist, als diejenige mit Kindern. Ob Frauen in Slowenien eins, zwei oder mehrere Kinder haben, die Beschäftigungsquote dieser Gruppe liegt durchschnittlich 14 Prozent höher als der EU-Schnitt. Die niedrige weibliche Erwerbsquote insgesamt ist in Slowenien demnach Folge einer erheblichen Diskrepanz zwischen den statistischen Gruppen. Aus feministischer Perspektive hat aber auch die niedrige Erwerbstätigkeitsquote der Frauen ohne Kinder eine positive Konnotation. Diese erklärt sich nämlich anhand des hohen Bildungsniveaus der slowenischen Frauen. Während 32,5 Prozent der Frauen in Slowenien über einen Abschluss im Tertiärbereich verfügen, können nur 28,9 Prozent der Männer einen solchen vorweisen. Das heißt Frauen ohne Kinder sind nicht arbeitslos, sondern noch in ihrer Ausbildung und beginnen erst mit dem Start ins Berufsleben auch die Familienplanung.

Die hohe Erwerbsquote unter Frauen mit Kindern wird in Slowenien einerseits durch eine umfassende staatliche Kinderbetreuungspolitik ermöglicht, die es den Frauen erlaubt, auch mit
Kindern weiterhin beruflich aktiv zu sein. Andererseits ist laut einer Umfrage der Europäischen Union die Bereitschaft der Männer, die Erziehungsarbeit zu übernehmen, vergleichsweise hoch. Demnach beteiligen sich 82 Prozent der Männer täglich an der Kinderbetreuung, während in Deutschland nur 64 Prozent der Männer angeben, jeden Tag zu dieser beizutragen. Die Kinderbetreuung ist in Slowenien folglich deutlich geschlechtsneutraler organisiert als in den meisten Ländern der EU. Auch diese Tatsache ist ein Produkt der sozialistischen Vergangenheit des Landes.

Auch hinsichtlich der Einkommenschancen finden wir in Slowenien eine deutlich gleichberechtigtere Situation vor. Zwar verdienen auch Frauen in Slowenien weniger als ihre männlichen Kollegen, diese Differenz ist jedoch in allen Berufsbereichen deutlich kleiner als zum Beispiel in Deutschland. Der Stundenlohn einer Akademikerin in Slowenien ist im Verhältnis zum Stundenlohn eines Akademikers knapp sieben Prozent höher als der einer Akademikerin in Deutschland. In Zahlen: Die Akademikerin in Slowenien verdient 83,62 Prozent so viel wie ihr entsprechendes männliches Pendant. In Deutschland liegt dieser Anteil bei nur 77,78 Prozent. Diese geringeren Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern spiegeln sich auch im EU-Vergleich. Mit 7,8 Prozent (EU = 16,2 Prozent) liegt in Slowenien – sowie in Polen, Rumänien, Luxemburg, Italien und Belgien – das geringste Gender-Pay-Gap (dt. = geschlechtsspezifisches Lohngefälle) vor.

Darüber hinaus ist Slowenien der EU-Mitgliedsstaat, in dem die Frauen den zweithöchsten Anteil an Führungspositionen insgesamt ausmachen. Mit 41 Prozent liegt Slowenien hier gleichauf mit Polen. Nur in Lettland haben mehr Frauen Führungspositionen inne. Zum Vergleich bekleiden Frauen in Deutschland nur 29 Prozent solcher Positionen; der EU-Schnitt liegt bei 33 Prozent. Ein ähnlich positives Bild von der sozioökonomischen Stellung der Frau in Slowenien ergibt sich beim Blick auf den Stundenumfang der einzelnen weiblichen Berufstätigkeit. So arbeiten nur 13,1 Prozent der slowenischen Frauen in Teilzeit, während dies in Deutschland für 46,4 Prozent der Frauen ihre Erwerbsrealität darstellt.

Insgesamt muss die heutige Situation also als ein Produkt der sozialistischen Vergangenheit gefasst werden, da trotz Transformation und Einrichtung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung gewisse politische und gesellschaftliche Ideen weiterhin als Pfadabhängigkeiten im slowenischen System verankert sind. Im Sozialismus wurde die Vorherrschaft der männlichen Erwerbstätigkeit, entstanden in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. und 20 Jahrhunderts und in der BRD als männliches Normalarbeitsverhältnis bezeichnet wurde, weitestgehend überwunden und durch eine gleichberechtigte Auffassung von Erwerbstätigkeit ersetzt. In Slowenien sind Frauen Familienernäherinnen und ihr Verdienst dient nicht – wie in Deutschland noch immer sehr verbreitet – zur Finanzierung von Urlaubsreisen oder anderen außerplanmäßigen Anschaffungen.