Mut, um Gleichgültigkeit zu überwinden

Nachruf auf Hildegard Zumach

„..man braucht nur ein bisschen Mut, um Gleichgültigkeit und Unwissenheit bei uns und anderen zu überwinden“ (Hildegard Zumach im ersten Aufruf „Kauft keine Früchte der Apartheid“ 1978) 
Nachruf auf Hildegard Zumach –  mit einem Artikel nach einem Gespräch mit ihr in Bergisch-Gladbach 
Hildegard Zumach, eine der ganz Großen der evangelischen Frauenarbeit in Deutschland, ist am 15. Dezember 2021 im Alter von 95 Jahren gestorben. Wie kaum eine andere hat sie über viele Jahre die 
Frauenarbeit und die Frauenökumene geprägt. Hildegard Zumach wird am 12. September 1926 in Hessen geboren. Nach Abitur und Kirchenmusikstudium, das die Pfarrerstochter 1949 abschließt, ist sie zunächst bis 1952 in Gummersbach als Organistin tätig. Von 1969 bis 1977 arbeitet sie an der dortigen Grundschule als Musiklehrerin. Hildegard Zumach ist mittlerweile verheiratet und hat drei Kinder, ihr Einkommen wird für den Lebensunterhalt der Familie gebraucht. 
Kirchliches Ehrenamt im Verband hat Hildegard Zumach von der Pike auf gelernt. Der eine Heimatverband ist die Evangelische Akademikerschaft, die sie über Jahre in der Mitgliederversammlung der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland (EFD) vertritt. Der andere der Bayerische Mütterdienst, der seit 2002 FrauenWerk Stein heißt und dessen Erste Vorsitzende Hildegard Zumach, damals bereits Generalsekretärin der EFD, 1982 wird und das bis 1995, über ihre Pensionierung hinaus, bleibt. Das ist für Hildegard Zumach mehr als eine persönliche kirchliche Beheimatung – Stein, das ist aus Ihrer Sicht immer „ein Mistbeet für Frauenprojekte“ gewesen. Aber auch grundsätzlich war und ist sie bis heute von der Wichtigkeit kirchlicher Verbände überzeugt, auch wenn die oft ignoriert werde. „Durch die Arbeit der Verbände entsteht 
Gemeinde an anderem Ort“, davon ist Hildegard Zumach überzeugt. Dass die Bezeichnung „Dienst“ aus dem Namen des „Mistbeets“ verschwunden ist, freut Hildegard Zumach. Denn allzu belastet sei der Begriff von überholten Frauenbildern. „Bei uns zuhause hing der Spruch von Wilhelm Löhe: ‚Was will ich? Dienen will ich!‘ Den empfand ich schon als junge Frau als aufoktroyiert.“ 
Von 1971 bis 1977 ist Hildegard Zumach Vorsitzende der EFD – dann wird die Stelle einer Generalsekretärin eingerichtet. Hildegard Zumach beginnt ihre zweite, ihre hauptamtliche Karriere, die bis zu ihrer Pensionierung 1992 dauert. Der inzwischen legendäre Früchteboykott, die innerchristliche Ökumene und die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Kirche, das sind die wohl wesentlichen Eckpunkte in Hildegard Zumachs beruflichem Koordinatensystem der folgenden 15 Jahre. 
Im Sommer 1976, kurz bevor Zumach EFD-Generalsekretärin wird, ist Deborah Mabiletsa, Präsidentin der südafrikanischen Black Women›s Federation zu Besuch bei der EKD. Mabiletsa berichtet von der Apartheid Situation in ihrem Land. „What about your solidarity?“ Mabiletsas abschließende Frage klingt Hildegard Zumach noch heute in den Ohren. Ein Jahr später, im Oktober 1977, wird die Black Women›s Federation 
gebannt. Spontan beschließt die Mitgliederversammlung der EFD einen Solidaritätsbrief. „Wir unterstützen den Kampf um Ihre Rechte. Wir werden versuchen, in unserem Land das Verständnis für Ihre Ziele zu stärken. Wir beten für Sie.“ Nicht gerade vollmundig, fast zaghaft klingt dieses Versprechen. Gerade 
so, als ahnten die Unterzeichnerinnen des Briefes schon, was da auf sie zukommen könnte, wenn sie mehr tun würden als für die unterdrückten Schwestern zu beten. Einige EFD-Frauen hatten von dem erfolgreichen Boykott Trauben und Salat gehört, durch den vertragslose Landarbeiter in den USA bessere Arbeitsbedingungen erkämpft hatten. Wäre so eine Politik mit dem Einkaufskorb nicht eine aussichtsreiche Möglichkeit für die Frauen in Deutschland? 
Den Versuch war es wert – also formulierte die EFD einen Antrag an den Deutschen Frauenrat, seine Mitgliedsverbände zu einem Boykott südafrikanischer Früchte aufzurufen. Der aber schaffte es nicht einmal bis in die Mitgliederversammlung. Der Vorstand lehnte die Befassung ab, es sei keine einheitliche Meinung zu erwarten. Dann eben aus eigenen Kräften. Ziemlich kurz entschlossen rief die EFD ihre eigenen Mitgliedsorganisationen nun zum Boykott auf. „Unterstützt den Kampf für Gerechtigkeit in Südafrika. Kauft keine Früchte der Apartheid.“ Nicht gerade die Töne, die man/frau bis dahin von den organisierten Kirchenfrauen gehört hatte. Und wenig verwunderlich, dass dem keineswegs alle EFD-Mitgliedsverbände sofort begeistert folgten. Bis heute ist Hildegard Zumach stolz auf ihre EFD – und dankbar, „dass auch die politische zögerlichen Frauen, die sich bei der Abstimmung enthalten oder dagegen gestimmt hatten, in der EFD blieben und sich solidarisch verhielten“. 
Ganz anders die Evangelische Kirche in Deutschland. Für eine Broschüre zur Boykott-Aktion bat Hildegard Zumach den damaligen Ratsvorsitzenden um ein Vorwort. Der lehnte das Ansinnen nach längeren internen Beratungen ab. Stattdessen schrieb der Rat an die Gliedkirchen der EKD, dass er „die EFD dringend gebeten habe, von dieser Aktion Abstand zu nehmen“. Sie sei kein geeignetes Mittel, gerade die Schwarzen träfen die Folgen eines Boykotts zuerst. Zudem seien „Verwirrung und unechte Fronten in unseren Gemeinden“ zu befürchten. 
Geld gab es ebenfalls nicht. Die Auszahlung von bereits bewilligten Mitteln wurde vom Rat der EKD gestoppt. Die Aktion jedoch ließ sich nicht mehr stoppen, Spenden von Gruppen und Einzelpersonen sowie in nennenswertem Umfang von der Rheinischen Landeskirche und dem Diakonischen Werk sorgten dafür. Die Prognose des damaligen Ratsvorsitzenden war: „Es wird in Deutschland keine einzige Orange aus 
Südafrika weniger verkauft werden.“ Wie sehr er sich da irrte, freut Hildegard Zumach heute noch. Persönliche Anfeindungen schlugen der Generalsekretärin entgegen. „Ich wurde abgestraft für ein politisches Engagement, das von einigen sogar als gewalttätig diffamiert wurde.“ In das Präsidium der EKD-Synode wurde Hildegard Zumach danach nicht wieder gewählt. 
Noch mehr Mut und wirtschaftliche Kompetenz waren vonnöten, als der Boykott von Früchten auf den Krüger-Rand ausgedehnt wurde und Gespräche mit Banken anstanden. „Obst und Gemüse fielen ja noch in die Zuständigkeit von Frauen – aber der Goldhandel?“ Es sollte eine schöne Genugtuung sein, dass allein im Jahr 2012 die Evangelischen Frauen in Deutschland dreimal um Zugang zu ihrem Archiv gebeten wurden. Im Mittelpunkt des Interesses dabei immer die 23 Ordner Südafrika. 
Ökumene war das zweite Herzblutthema für Hildegard Zumach. 15 Jahre hat sie im Zentralausschuss des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) mitgearbeitet. Auch da, wie Bischöfin i.R. Bärbel Wartenberg-Potter sich erinnert, „sehr mutig – eine unaufgeregte Frau, die sich aber aus tiefer christlicher Überzeugung auf manchen Konflikt eingelassen hat“. In Deutschland war der Weltgebetstag der Frauen (WGT) Hildegard Zumachs vorrangiges ökumenisches Betätigungsfeld. Auch das in bester EFD-Tradition. 
Bereits 1949 hatte Antonie Nopitsch dafür gesorgt, dass 10.000 Exemplare der Liturgie in Stein gedruckt und über die evangelischen Frauenwerke und die Verantwortlichen der in Deutschland kleinen Kirchen bundesweit in den Frauengruppen verteilt wurden. 1971 gründeten die konfessionellen Frauenverbände das WGT-Komitee, 1975 wird Zumach dessen Vorsitzende. Gemeinsam mit Ilse Brinkhues vom Bund Altkatholischer Frauen und Anneliese Lissner als Generalsekretärin der Katholischen Frauengemeinschaft als stellvertretende KomiteeVorsitzende prägt sie über viele Jahre die Arbeit des deutschen Komitees. 
Es war eine wunderbare Frauenfreundschaft, die als „Matronen-Club“ lange über die gemeinsame Amtszeit hinaus hielt. Auch hier lehrte das gemeinsame Engagement die Frauen, dass beten allein nicht genug ist. 
Beispielhaft sei an den WGT 1980 aus Thailand erinnert, dem eine jahrelange Kampagne gegen Sextourismus folgte. Eng verwoben mit diesen beiden Engagement-Feldern sind Hildegard Zumachs Aktivitäten zur Gleichstellung von Männern und Frauen in der Kirche und zur Förderung der Feministischen Theologie. Ihr Einstieg war 1974 die ÖRK-Konsultation „Sexismus in den 70er Jahren“ in (West-) Berlin – erstmals wird öffentlich Kritik an Sexismus in kirchlichen Strukturen und Theologie und die Forderung nach einer von Frauen getragenen Befreiungstheologie laut. Auf der ökumenischen Weltbühne werden nach und nach die Spuren gelegt, die 1988 in die Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ münden werden. 
Auch in Deutschland geht es jetzt Schlag auf Schlag voran. 1981 beantragt die EFD – vergeblich – die Durchführung einer dreitägigen „Frauenwerkstatt“ beim Kirchentag; stattdessen organisiert sie ein 
eintägiges Frauenforum Frauenarbeit bewegt den Kirchentag. 1987 veröffentlich die EFD Texte in frauengerechter Sprache für die Bibelarbeiten beim DEKT – eine Initiative, die der Übersetzung der Bibel 
in gerechter Sprache den Weg bereitet, deren erste Auflage knapp 20 Jahre später erscheint. 1989 beschließt die Synode der EKD die von den evangelischen Frauen geforderte Einrichtung eines Frauenstudien- und Bildungszentrums, dessen Konzeptentwicklung der EFD übertragen wird. 
Sich in Frauenzusammenhängen bewegen, Frauen fördern: Ja, natürlich. Aber feministisch Theologie betreiben? Mit dieser Idee rennt man bei Hildegard Zumach nicht gerade offene Türen ein. Verschlossen 
hat sie sich neuen Einsichten aber auch hier nicht, im Gegenteil. „Ich habe mich über mich selbst gewundert, dass ich mich nicht mehr gewundert habe, als die feministische Theologie sich in Deutschland entwickelte“, sagt sie rückblickend. Dass sie sich einmal so entschieden für Antirassismus-Programme einsetzen würde, war Hildegard Zumach schließlich auch nicht an der politischen Wiege gesungen. Hinter einmal Verstandenes und Gelerntes aber ist sie nie zurückgegangen. Frauen zusammenbringen, Frauen ermächtigen, politisches Frauenkapital besser nutzen – das war „ihr Ding“. Und das bleibt aus ihrer Sicht die wichtigste Aufgabe evangelischer Frauenarbeit.  Hildegard Zumach – Eine Frau, die die Geschichte der EFiD geschrieben hat, indem sie evangelischer Frauenarbeit in Deutschland über viele Jahre Gewicht und Gesicht gegeben hat. Unter sehr unterschiedlichen politischen Bedingungen. Unter sehr verschiedenen kirchlichen Voraussetzungen. Evangelisch, parteilich für Frauen, ökumenisch, feministisch-theologisch und unterwegs im Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung: Das sind auch heute noch die herausragenden Profilpunkte evangelischer Frauenarbeit. Hildegard Zumach hat viel dazu getan, sie herauszuarbeiten und zu schärfen. 
Angelika Weigt-Blätgen 
(in: mitteilungen der Evangelischen Frauen in Deutschland e.V., Nr. 451, April 2013, 5-9) 
Bildnachweis: <link https: www.evangelischefrauen-deutschland.de>Willkommen (evangelischefrauen-deutschland.de)