Nachruf auf Karin Lindner

Am 13. November starb Pfarrerin Karin Lindner. Die Evangelischen Frauen in Württemberg trauern um eine langjährige Mitarbeiterin, die kollegial und in der Leitung, in fachlichen Bezügen, in den Bezirksarbeitskreisen und Verbänden hohes Ansehen und Wertschätzung erfuhr. Die Trauerfeier fand am 17. November in der Stiftskirche in Bad Boll statt. Karin Lindner war in bewegter Zeit Pfarrerin der Evangelischen Frauen in Württemberg (EFW). 2004 wurde sie einstimmig zur letzten Pfarrerin der FrauenArbeit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg gewählt. Sie begleitete maßgeblich den Fusionsprozess beider landeskirchlicher Organisationen für Frauen. 2006 übernahm sie dann mit der Fusion die theologische und inhaltliche Leitung des neuen landeskirchlichen Werkes EFW. Diese Position hatte sie bis 2012 inne.
 
 Feministisch-theologisch versiert, ökumenisch orientiert und basisbezogen gestaltete sie die Neuanfänge einer neuen landeskirchlichen Einrichtung mit langer Vorgeschichte. Ihre Zeit war geprägt von vielfältigen Projekten: Als versierte feministische Theologin verantwortete sie die ersten württembergischen Durchläufe des Fernstudiums „Feministische Theologie“ und stand 2006 mitten in den polemisch geführten Diskussionen rund um die Publikation der „Bibel in gerechter Sprache“. Mit dem Projekt „Gotteskünderinnen – Montagspredigten zu sozialpolitischen Themen“ verband sie Feministische Theologie mit  zeitgemäßer und frauenspezifischer Spiritualität und mit ihrem politischen Engagement für benachteiligte Frauen. Mit ihrer ökumenischen Grundausrichtung etablierte Lindner den seit Jahren mit großer Resonanz stattfindenden Ökumenischen Frauenkreuzweg und verknüpfte auch hier Alltagsspiritualität von Frauen mit politischen Anliegen. Sie brachte so Kirche lebensweltbezogen in den öffentlichen Raum. Karin Lindner begleitete EFW auch durch die erste Evaluation und brachte die erste Ordnungsänderung auf den Weg. Als Vertreterin der EFW setzte sie sich im Modellprojekt „FairCare“ für die Würde und Rechtssicherheit ausländischer weiblicher Betreuungskräfte in deutschen Haushalten mit pflegerischem Betreuungsbedarf ein. Damit leistete sie einen Beitrag für den dringend gebotenen Diskurs über die Zukunft der Pflege.

Dina Maria Dierssen, Geschäftsführerin FW ________________________________________________________________________________ NACHRUF DER EVANGELISCHEN FRAUEN IN DEUTSCHLAND AUF KARIN LINDNER
WIR TRAUERN UM KARIN LINDNER (1963 - 2018)

Karin Lindner war eine Kämpferin. Vor allem: eine Kämpferin für „die Freiheit zu
sagen, was frau denkt“. Wissend, dass das nicht allen wohl gefallen würde. Aber
genau das wünschte sie sich in ihrer Reflexion des Marburger Frauenmahls: mehr
Provokation. Provokation, buchstäblich, als „Herausrufung, die etwas hervorruft: eine
Resonanz, eine Reaktion, die dann wiederum etwas in Bewegung bringt …;
Bewegung bringt das Anstößige, das Provokative, das schon mindestens drei
Schritte weiter Gedachte und Formulierte.“
Drei Schritte weiter denken und formulieren, das konnte sie. Diese persönliche
Stärke hat Karin Lindner immer wieder zur gefragten Frau für die Begleitung und
Gestaltung von Übergängen gemacht: als Frauenpfarrerin bei der Fusion der
vorherigen landeskirchlichen Frauenstrukturen zum gemeinsamen Werk
Evangelische Frauen in Württemberg 2006. Als theologische Mitdenkerin und
Liturgin beim Festgottesdienst im März 2008 zur Gründung der Evangelischen
Frauen in Deutschland aus den vorherigen beiden Dachverbänden. Von 2012 bis
2016 als Interimspfarrerin der Gemeinde Eschenbach, die in dieser Zeit ebenfalls
einen schwierigen Übergangsprozess zu bewältigen hatte. Karin Lindner konnte
sowas, weil sie, neben vielem anderem, das Führen in Veränderungsprozessen
gelernt hatte. So gut konnte sie es, weil ihre Lust am Vorwärtsdenken getragen war
von Verständnis für den Schmerz und die Trauer von Menschen, die das Altvertraute
loslassen müssen, damit Raum für Neues entstehen kann. Weil ihre Begeisterung
fürs Zukunft-Gestalten eingebettet war in Empathie und dankbaren Respekt für die
Vorgänger*innen und ihre Leistungen.
Und natürlich war Karin Lindner Feministische Theologin durch und durch. Nicht
zufällig fand 2005 einer der ersten Durchgänge des Fernstudiums Feministische
Theologie in ihrem „Revier“ statt. Dafür setzte sie sich auch auf Bundesebene ein.
Sie engagierte sich, unter anderem, in der Initiative tempo! – ein Ort der Vernetzung
für feministische Theologinnen, die in Wissenschaft, Gemeinde oder Frauenarbeit
tätig sind und gemeinsam daran arbeiten, das Feministische Theologien und
Erkenntnisse der theologischen Frauen- und Geschlechterforschung überall zu den
selbstverständlichen Grundstandards dazugehören.
Und politisch war Karin Lindner. Politisch im Sinne eines klaren Blicks auf Strukturen.
Politisch im Sinne von parteilich – vor allem für Frauen. Ihre Aufgabe als
Frauenpfarrerin sah sie hauptsächlich in der Lobbyarbeit für Frauen. Sei es in der
Landeskirche, sei es auf Bundesebene, wo sie im Rechtsausschuss der EFD und
später der EFiD mitarbeitete. Politisch im Sinne von parteilich für Menschen in Not:
zuletzt beispielsweise, indem sie geflüchtete syrische Familien im Eschenbacher Pfarrhaus wohnen ließ.
Ein Bindeglied zwischen Karin Lindners feministisch-theologischer Orientierung und ihrem politischen Engagement war eine Spiritualität, die sich aus ihrer Erfahrung mit Rhythmus und Tanz speiste. Wiederum nicht zufällig war sie Mitherausgeberin von „Leidenschaftlich – Sieben Wochen das Leben vertiefen“. 2012 erschien das Buch: Ergebnis eines Passionszeitprojekts von Theologinnen in den Frauenarbeiten, die sich über mehrere Jahre unter der Überschrift „Feministische Ekklesiologie“ trafen, um ihre Vision einer österlichen Kirche zu entwickeln, deren Spiritualität Lebenskraft stärkt und nährt. Gemeinsam mit Ute Niethammer, einer Kollegin der Evangelischen Frauen in Baden, verantwortete sie die Gedanken und Anregungen zur 5. Woche der Passionszeit, in der es um diakonein, um die zahlreichen Facetten des „Dienens“ ging. So deuteten sie die Herausforderung des an Jesus orientierten Dienens für sich:
Nicht Selbstaufgabe als Haltung, sondern selbst die Aufgabe wählen. Aufgaben, die mich nähren. Und die mich zur Weltgestalterin werden lassen in einer Welt des miteinander verbundenen und aufeinander angewiesenen Lebens.
Für das Buch „Bunter als zuvor. In der Mitte des Lebens“, das Karin Lindner und Susanne Herzog 2012 herausgegeben haben, wirbt der Verlag mit dem Hinweis: Es ist eine Ermutigung, „spätestens jetzt das Leben zu leben, das man sich immer gewünscht hat“. Zum Glück, Gott sei Dank hat Karin Lindner damit nicht bis zur statistisch anzunehmenden Mitte ihres Lebens gewartet. Sie verstarb, mit nur 55 Jahren, am 13. November 2018.
Wir haben Karin Lindner in all den Jahren der Zusammenarbeit, des zusammen Denkens, Betens, Reflektierens, Planens und Feierns als eine erlebt, die, wenn nicht alles, so doch vieles von dem gelebt hat, das sie sich wünschte. Ihr scharfer Verstand und ihr ansteckend fröhliches Lachen, ihre kämpferische Ader und ihr verbindliches Wesen, ihre Lust an der Provokation und ihre Liebe zu allem, was lebt, werden uns sehr fehlen. Wir behalten Karin Lindner in dankbarer Erinnerung.
Susanne Kahl-Passoth Angelika Weigt-Blätgen Dr. Eske Wollrad
Vorsitzende EFiD Stellv. Vorsitzende EFiD Geschäftsführerin Ev. Zentrum Frauen und Männer gGmbH