Kommentar zum Koalitionsvertrag: Thema Pflege

Personalschlüssel anpassen, Ausbildungen honorieren und Bürokratie abbauen

„Alle Menschen in Deutschland sollen gut versorgt und gepflegt werden – in der Stadt und auf dem Land. Wir wollen einen Aufbruch in eine moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik und ziehen Lehren aus der Pandemie, die uns die Verletzlichkeit unseres Gesundheitswesens vor Augen geführt hat. Wir sorgen für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung und eine menschliche und qualitativ hochwertige Medizin und Pflege. Wir verbessern die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe und Pflegekräfte. Wir ermöglichen Innovationen und treiben die Digitalisierung voran. Grundlage für all dies ist eine auf lange Sicht stabile Finanzierung des Gesundheitswesens und der Pflege.“ 
So beginnt das achtseitige Kapitel „Pflege und Gesundheit“ im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Bemerkenswert gleich zu Beginn: das Kapitel stellt die Pflege als eines der drängendsten Probleme unserer Gesellschaft in den Vordergrund der politischen Arbeit. Wie will die neue Bundesregierung also vorgehen? Der Vergleich zu den einzelnen Wahlprogrammen und der gemeinsamen Einigung im Koalitionsvertrag zeigt, dass SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP viele Versprechen einlösen möchten.

Personalschlüssel anpassen, Ausbildungen honorieren und Bürokratie abbauen
Der Personalschlüssel in Krankenhäusern und Pflegeheimen soll angepasst werden und auf einen angemessenen Mix der unterschiedlichen Qualifikationen der Berufe achten. Insbesondere der Pflegeberuf soll attraktiver gestaltet werden über die Schließung der bisherigen „Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege, Steuerbefreiung von Zuschlägen, durch die Abschaffung geteilter Dienste, die Einführung trägereigener Springerpools und einen Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten für Menschen mit betreuungspflichtigen Kindern.“ 

Auch die verschiedenen Ausbildungen im Gesundheitswesen sollen harmonisiert und zukünftig überall mit Ausbildungsvergütungen honoriert werden. Die Pflegeausbildung soll in Zukunft auch in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und der Rehabilitation möglich sein. Auch hier brauchen Personen nicht nur therapeutische Angebote, sondern auch eine professionelle Pflege. Die Landschaft der Gesundheits- und Pflegeberufe soll ergänzt werden mit dem neuen Berufsbild der „Community Health Nurse“ und der Anerkennung der Heilberufe. Außerdem sollen im Ausland erworbene Berufsabschlüsse einfacher und schneller anerkannt werden. Denn ohne ausländische Fachkräfte kann der Personalmangel nicht behoben werden. Spannend: geschlechtsbezogene Unterschiede in der Gesundheitsversorgung, -Förderung, Prävention und Forschung sollen stärker berücksichtigt und Gendermedizin ein fester Bestandteil der Ausbildungen und des Studiums werden.
Um Prozesse für Bürgerinnen und Bürger zu beschleunigen und Arbeitsabläufe im Gesundheitswesen zu vereinfachen, setzen die drei Parteien auf digitale Lösungen, wie beispielsweise die elektronische Patientenakte oder das e-Rezept, und ein Bürokratieabbaupaket. Telemedizin und telenotärztliche Versorgung sollen weiter ausgebaut werden.
Eigenanteile begrenzen und mehr Zeit für pflegende Angehörige
Die Eigenanteile von zu pflegenden Personen in der stationären Pflege sollen begrenzt werden. Dafür werden bestimmte Kosten, die bisher über den Eigenanteil ausgeglichen wurden, neu bewertet und über andere Finanzierungsquellen, wie etwa aus Steuermitteln oder Beiträgen der Krankenkassen bezahlt. Außerdem werden die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung moderat angehoben. Denn Fakt ist: all die angestrebten Qualitätsverbesserungen in der Pflege können über das bisherige Budget nicht finanziert werden. Wir müssen als Bürgerinnen und Bürger ebenso einen Beitrag dazu leisten, dass unsere Nächsten gut gepflegt und versorgt werden können. Eine Pflegevollversicherung, die in den Wahlprogrammen von SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN thematisiert wurde und alle anfallenden Kosten decken würde, soll geprüft und nur freiwillig möglich gemacht werden.
Eine Entlastung der pflegenden Angehörigen wird unmittelbar über die Weiterentwicklung der Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetze genannt. Mehr Zeitsouveränität und Lohnersatzleistungen sollen die Pflege eines Angehörigen unterstützen. Mittelbare Entlastung erfahren Angehörige aber auch durch den bedarfsgerechten Ausbau der Tages- und Nachtpflege, sowie der Kurzzeitpflege.
Kommentare aus der Fachwelt 
„Das wirklich Fortschrittliche für die Pflegeberufe wird in der Erweiterung der pflegerischen Rollen, der Übertragung heilkundlicher Aufgaben und der Förderung der hochschulischen Ausbildung liegen“, sagt Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK).  „Der Koalitionsvertrag ist ein Meilenstein für die Profession Pflege“, sagt Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats e.V.  Langjährige Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen seien jetzt aufgenommen worden. Was allerdings noch fehle oder weiter konkretisiert werden müsse, seien unter anderem Themen wie Häusliche Pflege, Stärkung der sektorenübergreifenden Versorgung, bessere Work-Life-Balance oder eine bessere Refinanzierung von Leistungen. Also: der Koalitionsvertrag nimmt die Probleme im Gesundheits- und Pflegesektor auf und macht Hoffnung auf die nächsten Jahre.
Vanessa Lang, Referentin EFW